„Hinrichtung“ eines Wirtschaftszweigs: Warum China jetzt seinen boomenden Nachhilfesektor zerschlägt

Eine Frau geht in der internationalen Handelszone in Peking eine Straße entlang. (Symbolfoto) Chinas Regierung geht gegen die boomende Nachhilfe im Land vor.

Eine Frau geht in der internationalen Handelszone in Peking eine Straße entlang. (Symbolfoto) Chinas Regierung geht gegen die boomende Nachhilfe im Land vor.

Peking. Wenn Chinas Aufsichtsbehörden eine Branche ins Visier nehmen, regulieren sie meist mit dem sprichwörtlichen Vorschlaghammer: Nach Fintech-Firmen und Online-Fahrdienst­vermittlern trifft es nun den boomenden Nachhilfemarkt. Experten sprechen gar von einer regelrechten „Hinrichtung“ des Wirtschaftszweigs.

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Am Sonntag publizierten Chinas Staatsmedien die neuen Regeln: Demnach ist künftig Nachhilfe für Schüler während Ferien und Wochenenden grundsätzlich verboten. Vor allem aber dürfen Anbieter mit außerschulischer Bildung kein Geschäft mehr machen. Sämtliche bestehenden Konzerne müssen sich also nun als „gemeinnützig“ registrieren lassen. Zudem dürfen sie generell kein Kapital mehr an den Börsen lukrieren.

Wie überraschend die Nachricht kommt, zeigt sich unter anderem an den extrem eingebrochenen Kursen. Fast sämtliche Aktien chinesischer Bildungskonzerne, die in den USA gehandelt werden, fielen um 90 Prozent oder mehr. Allein aufgrund der schieren Dimension ist dies beachtlich, denn Chinas Nachhilfesektor zählte zu den am schnellsten wachsenden Branchen mit einem gesamten Marktwert von bis zu 300 Milliarden Dollar.

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Zwar war seit Längerem klar, dass Pekings Staatsführung den Wirtschaftszweig regulieren würde. Doch noch im Frühjahr gingen Analysten davon aus, dass die Aufsichtsbehörden den Markt lediglich gesundschrumpfen werden. Von der Schweizer Großbank UBS hieß es etwa noch im April in einem Report: „Neue Regularien im Nachhilfemarkt werden wahrscheinlich den führenden Konzernen nützen, da Wettbewerber von niedrigerer Qualität den Markt verlassen werden.“ Rückblickend klingt eine solche Einschätzung geradezu naiv.

Die jetzt getroffenen Maßnahmen sind radikal – nicht zuletzt, weil sie die Märkte verunsichern. Doch gleichzeitig greifen sie ein gesellschaftliches Problem mit weitreichenden Folgen auf.

Großer Konkurrenzkampf um Universitätsplätze

Der Lebensweg junger Chinesen entscheidet sich maßgeblich beim sogenannten Gaokao; der Universitätseingangsprüfung, die jeder Oberschüler absolvieren muss. Wer den mehrtägigen Test mit einer guten Note abschließt, kann auf eine Inskription an einer der renommierten Unis in Peking oder Shanghai hoffen.

Daran ist nicht nur eine gute Ausbildung geknüpft, sondern auch nachhaltige Karrierenetzwerke sowie der Zugang zum sogenannten Hukou – dem Bürgerrecht, an einem bestimmten Wohnort am Sozialsystem partizipieren zu können. An einem Tag also entscheidet sich maßgeblich das weitere Schicksal junger Leute.

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Dementsprechend massiv ist der Konkurrenzkampf um die begehrten Universitätsplätze, der mit allen erdenklichen Mitteln geführt wird. Ehrgeizige Eltern investieren ihr Erspartes, um ihren Zöglingen einen Startvorteil zu verschaffen. Das führt unter anderem dazu, dass 16-jäh­rige Chinesen oftmals eine Arbeitslast zu stemmen haben wie durchschnittliche Vorstandschefs von Dax-Unternehmen.

Das Einkommen bestimmt immer stärker die Bildungschancen

Vor allem aber bestimmt das Einkommen der Eltern im modernen China immer stärker über die Bildungschancen der nächsten Generation. Ohnehin sind die qualifiziertesten Lehrer in China längst in den Nachhilfemarkt abgewandert, weil es dort die sattesten Löhne zu holen gibt.

Doch natürlich setzen Pekings Maßnahmen vor allem bei den Symptomen eines gesellschaftlichen Übels an. Dessen Ursachen hingegen bleiben unangetastet. Die reichen Eltern der chinesischen Oberschicht werden wohl andere – und auch illegale – Wege finden, um ihren Kindern weiterhin einen Startvorsprung beim gesellschaftlichen Hamsterradrennen zu verschaffen.

Doch im Gegensatz zu vielen westlichen Marktwirtschaften scheut Chinas Staatsführung nicht davor zurück, seine erfolgreichsten Unternehmen massiv zu beschneiden. Dabei geht es nicht nur um politische Kontrolle, sondern – und das mag zunächst widersprüchlich erscheinen – um langfristiges Wirtschaftswachstum.

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Denn laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua werden die jetzigen Regularien mit dem demografischen Wandel begründet: Der finanzielle Druck junger Eltern, die vor allem in den hohen Bildungskosten wurzeln, sei die größte Hürde, um mehr als ein Kind großziehen zu wollen. Und die niedrigen Geburtenraten wertet Pekings Staatsführung als die größte Bedrohung für den ökonomischen Aufstieg der Volksrepublik.

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